Narzissmus – Charakterschwäche oder echte Krankheit?

Ist der scheidende US-Präsident Donald Trump ein Narzisst? Viele von uns würden diese Ferndiagnose ohne zu zögern stellen. Eitelkeit, Selbstverliebtheit, die auffällige Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, vor allem das Bedürfnis nach Bewunderung bei gleichzeitiger Dünnhäutigkeit bei Kritik würden wir als klassische Merkmale von Narzissmus ansehen. Aber ist Trump deshalb schon krank? Oder doch ein geborener Führer? Wie würde ein Mediziner darüber denken?

Ein bisschen Narzissmus in uns allen

1979 entwickelten Robert N. Raskin und Calvin S. Hall einen Narzissmus-Test zur Selbstbeurteilung. Er enthält in der Kurzform 15 und in der Langform 40 Aussagenpaare, zwischen denen die Testperson entscheiden soll. Dieses Instrument ist bekannt als Narcissistic Personality Inventory (NPI-15 bzw. NPI-40). Darunter sind Statements wie „Ich betrachte mich gern im Spiegel“ oder „Ich bin eine großartige Person“, aber auch „Ich bin sicher, eine gute Führungspersönlichkeit zu sein“ und „Ich fühle mich kompetent und will Verantwortung für meine Entscheidungen übernehmen“. Mit genügend Ehrlichkeit wird sicher jeder von uns einige Merkmale, die auf Narzissmus hindeuten, bei sich bejahen. Das ist aber weder krankhaft noch schlecht, selbst wenn unser Narzissmus nicht auf eine pubertäre Lebensphase beschränkt bleibt, sondern uns ins Erwachsenenalter begleitet. Was in einer Beziehung oder im Freundeskreis als mieser Charakter negativ auffällt, ist im beruflichen Umfeld vielleicht als Ehrgeiz und Willensstärke gern gesehen. Viele Psychologen sehen Narzissmus sogar als wichtiges und sogar positives Persönlichkeitsmerkmal.

Die Grenze zur Krankheit

NPI ist ein Messinstrument für nicht-pathologischen (subklinischen) Narzissmus. Der Test ist keinesfalls geeignet, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) im pathologischen Sinn, also als Krankheit, zu diagnostizieren. Zwar sind die grundlegenden Merkmale dieselben wie bei der subklinischen Ausprägung. Sie treten aber wesentlich stärker hervor und werden von einem Mangel an Empathie und Einfühlungsvermögen begleitet, dem vielleicht auffälligsten Merkmal von NPS. Kennen Sie noch Mr. Spock, den Vulkanier mit den spitzen Ohren vom Raumschiff Enterprise? Vulkanier können – so die Story in der Originalserie – zwar Gefühle anderer erkennen, zum Beispiel aus der Sprache oder anhand der Mimik ihres Gesprächspartners, aber selbst nicht empfinden. Das führte auf der Enterprise immer wieder zu Konflikten, vor allem mit dem sehr emotionalen Bordarzt Dr. McCoy. Man stelle sich eine Beziehung mit einem NPS-erkrankten Partner vor: Er kann lernen, eine angemessene Reaktion vorzuspielen, aber niemals wird er sie wirklich leben. Kritik und Zurückweisung sind die Folge, mit denen er aber wiederum nicht umgehen kann. Die Reaktion besteht entweder in Wut oder – seltener, aber wesentlich gefährlicher – in einer ausgeprägten Depression bis hin zur Suizidgefährdung. Neben der Depression gibt es auch weitere sogenannte Komorbiditäten, also gemeinsam mit NPS auftretende Erkrankungen. Das sind zum Beispiel Essstörungen, Drogenmissbrauch oder eine Borderline-Störung. Keine Frage, hier besteht dringender Behandlungsbedarf, meist durchgeführt in Form von Einzelgesprächen oder Gruppentherapie.

Bild: Bigstockphoto.com / Viorel Sima

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